Was Gemeinde aus der Organisationsentwicklung lernen kann

von Ralf Juhre

Wir haben diesen Artikel auch als PDF zum Download und Ausdrucken auf A4 aufbereitet.


„Hilfe Herr Doktor, unsere Firma ist krank!“. Mit solchen Worten wendet sich manch verzweifelter Geschäftsführer oder Personalleiter schon einmal an einen professionellen Organisationsentwickler. „Na was hat sie denn?“ will der dann wissen und startet nach Auftragsklärung die „Organisationsdiagnose“ um das Leiden herauszufinden, welches das Unternehmen plagt um schließlich eine Organisationstherapie mit dem Ziel von Haltungs- und daraus resultierend Verhaltensveränderungen bei Leitenden und Mitarbeitern zu verordnen. Je nach Anamnese kennt die Organisationsentwicklung unterschiedliche Therapien, sie nennt sie „Interventionen“ auf der Individual, Gruppen, oder Gesamtebene der Organisation. Organisationsentwicklung ist ein anerkannter Wissenschaftszweig der Soziologie mit heute starken Beziehungen zur Betriebswirtschaftslehre, die weltweit namhafte Gelehrte aufweist. Ihr Gegenstand ist es, Organisationen zu untersuchen und herauszufinden, wie diese (weiter-) entwickelt werden können. Und dies nicht nur in Krisen und bei Erkrankungen sondern auch dann, wenn es der Organisation gut geht, sie aber beispielsweise gerne weiter wachsen und ihre Potentiale entfalten möchte.

Auch Gemeinden sind Organisationen, die an mancherlei organisationalen Leiden erkranken können. So stimmt es z.B. mit der Führungskultur- und in Folge dessen mit der Mitarbeitermotivation nicht, es gibt keine hilfreiche Konfliktkultur oder die Finanzen bleiben aus. Oder es fehlt der Gemeinde ganz und gar der Wachstumswunsch, die Selbstzufriedenheit hat scheinbar alles im Griff, nichts bewegt sich in Richtung Weiterentwicklung. Gemeinde ist aus Sicht der Organisationsentwicklung ein Phänomen. Anders als in einer Firma geht es nicht um die Nutzenmaximierung, die dann auch möglichst der Gewinnmaximierung dienen soll. Das Bild der Gemeinde als Leib Christi, als Braut Jesu beschreibt sie als einen lebendigen Organismus. Dieses Verständnis von Organisation teilt die systemische Organisationsentwicklung, das so genannte „Scientific Management“ (stammt aus der Zeit von Taylor/Ford) weist hingegen ein eher technokratisches Organisationsverständnis auf.

Was ist Organisationsentwicklung und was tut sie eigentlich?

Grob lässt sich Organisationsentwicklung in zwei Fachgebiete unterteilen, in

  1. die systematische und
  2. die systemische Organisationsentwicklung.

Die systematische Organisationsentwicklung beschäftigt sich mit der Betrachtung, Erforschung und Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisationsform des Unternehmens bzw. der Organisation. Die Aufbauorganisation beschreibt meist in einem Organigramm dargestellt Arbeitsteilung, Zuständigkeiten und Weisungsrechte sowie Aufsichtspflichten. Aufbauorganisationen sind entweder in Linie, Stablinie oder Matrix organisiert.


Welche aufbauorganisatorische Form die jeweils zur Organisation passende ist, richtet sich nach verschiedenen Kriterien. Auffällig seitens der Organisationsentwicklung ist an Gemeinde, dass sie sehr häufig linienförmig aufgebaut ist wie die meisten Gemeindeorganigramme zeigen. Nur sehr selten gibt es eine Matrixorganisation, bei der jeweils Bereiche und Abteilungen mit Fachgebieten zusammenarbeiten.

Die Ablauforganisation betrachtet und untersucht die Prozesse die innerhalb der Organisation und nach außen sowie von außen nach innen stattfinden. Hierbei werden die wiederkehrenden Abläufe erfasst und visualisiert, beispielsweise der Einkaufsvorgang von der Angebotseinholung über die Prüfung bis zur Bestellung. Oder auch der Produktionsprozess mit allen Einzelheiten und Prozessschritten. Hierbei bedient sich die systematische Organisationsentwicklung eigener Instrumente und einer eigenen Sprache und identifiziert Prozesse, Prozessschwächen und Prozessoptimierungspotentiale in einer Organisation. Prozesse werden identifiziert, zerlegt und jeder einzelne Schritt wird betrachtet. Auch in Gemeinden gibt es jede Menge wiederkehrende Ablaufprozesse, z.B. das jährliche Gemeindefest, die Gottesdienstplanung, die Gemeindefreizeit etc. Ziel eines guten Prozessmanagements ist es, stabile, belastbare und effiziente Prozesse herzustellen und somit die Qualität sicher zu stellen.

Die systemische Organisationsentwicklung interessiert sich nicht so sehr für Strukturen und Abläufe sondern für die ganzheitliche Betrachtung der Kultur in der Organisation. Die systemische Organisationsentwicklung sieht eine Organisation als ein lebendiges vernetztes System bei der jede Ursache auch eine Wirkung hat. Alles hängt miteinander zusammen und beeinflusst sich gegenseitig. Jede Handlung eines Mitgliedes der Organisationsfamilie hat einen Einfluss auf die anderen Mitglieder in der Organisation, je nach Grad der direkten oder indirekten Vernetztheit. Die Vernetzung ist komplex und durch die vielfachen Kettenreaktionen nicht einfach zu durchschauen und oft auch nicht vorhersagbar. Wenn sich ein kleines Rädchen verändert kann dies eine sehr große Veränderung bewirken wenn entsprechende Zahnräder ineinandergreifen und die Kraft entsprechend übertragen und weitergeben. Es wird also der Zusammenhang des „Systems“ Organisation und die gegenseitigen Wechselwirkungen untersucht mit dem Ziel herauszufinden, welches denn das richtige Rädchen ist, an dem man drehen muss, um die Potentiale der Organisation frei zu setzen.

Organisationen sind nach systemischem Verständnis „selbstreferentiell/autopoietisch“ was bedeutet, dass sie wie Lebewesen als soziales System einen eigenen Lebenswillen haben. Gesunde Organisationen wollen somit überleben und verstehen es von selbst, sich zu diesem Zweck auch zu erneuern sofern notwendig. Es herrscht eine Art Schwarmintelligenz die gemeinsames Handeln in der Organisation möglich macht. Soziale Systeme wie Unternehmen, Organisationen und auch Gemeinden entwickeln nach diesem Verständnis wie Individuen Gewohnheiten (Systemverläufe), die sich konstruktiv oder destruktiv auf die Zukunft der Organisation auswirken werden. Gewohnheiten in Organisationen, das sind also organisationale (Gruppen-)  Tugenden und Untugenden, die den Charakter der Organisation darstellen. Charakterliche Reifung führt zur Freisetzung des Stärkenpotentials. Die systemische Organisationsentwicklung versucht nun, die schlechten Angewohnheiten (Untugenden) der Organisationsgruppe

a) durch Organisationsdiagnosen zu identifizieren und dann

b) durch geeignete Interventionen zu irritieren (in der Fachsprache nennt sich das zu „verstören“) und damit Verlernen und neu Lernen zu initiieren.

Dabei spielen „mentale Modelle“ (Denkmuster der Organisation als Gruppe und damit auch der Individuen) und deren Veränderung eine entscheidende Rolle. Ziel ist es, eine „lernende“ statt stagnierende Organisation zu formen, also eine Gruppe von Menschen, die ihre Selbsterneuerungskräfte und damit ihr Potential optimal entfaltet. Nur eine lernende Organisation –und das gilt sicher auch für Gemeinden- ist in der Lage, für neue Herausforderungen auch passende Lösungen anzubieten und damit relevant zu sein für die Bedürfnisse von Menschen – also attraktiv und Nutzen stiftend in der Gesellschaft zu wirken. Oder sagen wir einfach mit Jesu Worten die Gemeinde ist Salz in der Gesellschaft, die vor dem Verderben erlöst und Licht, dass die Dunkelheit der Welt erhellt.

Was kann Gemeinde aus der Organisationsentwicklung lernen?

Gemeinde kann sehr von den Erkenntnissen der Organisationsforschung profitieren, es gäbe zahlreiche Aussagen dazu zu machen. Nachfolgend sind vier mögliche Lernfelder beschrieben:

  1. Aufbau- und Ablauforganisation
    Strukturen und Prozesse angemessen aufsetzen (structure follows strategy)

  2. Identifikation von destruktiven Systemverläufen (Organisationsdiagnostik)
    (Denk- und Verhaltensmuster in der Gemeinde, die der Gemeinde schaden)

  3. Verstören von destruktiven Systemverläufen (Intervention)
    Individualeben, Gruppen, Gesamtgemeinde (Böse Geister in der Organisation)

  4. Irritationslernen und lernende Organisation werden
    (lebendige Gemeinde die Jesus folgt statt religiöser Verein der Traditionen pflegt)
     

1. Aufbau- und Ablauforganisation

Strukturen und Prozesse angemessen aufsetzen (structure follows strategy)

Viele Pastoren oder Gemeindeleitungen haben sich nie mit der trockenen Materie „Aufbau- und Ablauforganisation“ beschäftigt. Gemeinden müssen aber auch formal organisiert werden. Zweckmäßige Strukturen meint hier nun, dass das Knochengerüst die richtige Beschaffenheit aufweisen sollte. Nur wenn das Skelet gesund und gut ausgeformt ist, wird es auch belastbar sein (strukturelle Integrität). In diesem Sinne ist es wichtig, die angemessene strukturelle Form zu wählen (siehe oben, Linien-, Stablinien-, Matrixorganisation).
 
Der eiserne Grundsatz lautet: Struktur folgt der Strategie! Jedweder struktureller Aufbau der Gemeinde sollte also immer auf die Strategie hin bezogen gewählt sein. Will eine Gemeinde beispielsweise in zehn Jahre durch Jugendarbeit ihr Überleben in die nächste Generation hinein sichern, macht es Sinn, frühzeitig einen möglichst eigenständigen Zweig „Jugendarbeit“ in die Struktur aufzunehmen und diesen stark und stabil zu machen. Die Struktur der Zukunft entsteht in der Gegenwart und ihre Beschaffenheit heute entscheidet über die morgige Belastbarkeit. Die Strukturen für Jugendarbeit, Frauendienst, Männerarbeit also rechtzeitig zu legen, damit sie dann auch bei Gebrauch belastbar ist lautet also hier die Aufgabe. Ein häufiger Fehler von Gemeindeleitungen ist der, zu sehr die Gegenwärtige anstatt die Zukünftige Struktur zu fokussieren. Wie muss unsere Zukunftsstruktur aussehen? So lautet die richtige Frage. Sie lässt sich aber nur im Bezug zur Strategie der Gemeinde beantworten.

Klingt banal, oft fehlt jedoch Klarheit und/oder Einheit in der Leitung/Gemeinde über Mission und Vision, also Strategie. Die Struktur folgt mitnichten der nicht vorhandenen Strategie. Wie wird dann Struktur geformt, wenn nicht an der Strategie ausgerichtet? In der Regel gar nicht. Man folgt der Tradition, denn „das haben wir schon früher so gemacht“. In diesem häufig in Gemeinden anzutreffenden Fall gibt es kein gezielt herbeigeführtes Wachstum, weil die angestammte Struktur es verhindert. Anders gesagt: Der Schuh sagt dem Fuß, wie groß er werden darf. Der Fuß will wachsen (weil er gesund ist), der Schuh hält ihn aber davon ab. Die Pflanze möchte gerne wachsen, der Topf hält sie aber davon ab. Gehen wir davon aus, dass gesunde Gemeinden Gott gewollt von selbst wachsen (Prinzip der Selbstreferentialität, siehe oben) dann verhindern die althergebrachten Strukturen oft die Freisetzung des von Gott gegebenen Potentials. Nach meiner Wahrnehmung trifft genau dieses Phänomen auf eine überwiegende Zahl von Gemeinden zu und erklärt auch, warum es nur einige wenige stark wachsende Gemeinden in Deutschland gibt. Es fehlt die folgelogisch richtige proaktive Ausrichtung  der Struktur auf die Strategie, weil die Strategie fehlt. Leitung sieht sich nicht dafür verantwortlich eine Strategie zu entwickeln und die Struktur auf diese Strategie hin zu planen und zu installieren. Die Potentiale liegen brach, die Gemeinde kann nicht wachsen, weil die Struktur ihr selbst im Wege steht – die Gemeinde trägt ein Korsett, was auch häufiger Atmungsbeschwerden auslöst, insbesondere dann, wenn es zu eng geschnallt ist.

Die professionelle Organisation von Abläufen ist ebenfalls ein Lernfeld vieler Gemeinden, wenngleich auf diesem Feld auch sehr gute Beispiele in der Gemeindelandschaft vorzufinden sind. Eine gute Ablauforganisation ist daran zu erkennen, dass u.a. folgenden Fragen beantwortet sind:

  • Wer ist der Prozessbesitzer? Es existiert Klarheit über Verantwortlichkeiten
  • Wie ist der Prozess zu verrichten? Es gibt gepflegte Check- und Vorgehenslisten
  • Wie gut wird der Prozess verrichtet? Es gibt regelmäßige Qualitätsaudits
  • Wie funktioniert die kontinuierliche Prozessverbesserung? Verlernen und Lernen ist normal.

In vielen Gemeinden hängen die Prozesse und ihre Qualität sehr stark an der jeweils ausführenden Person. Entwickelt sich diese Person weiter so entwickelt sich mit ihr auch der Prozess. Ist dies nicht der Fall, bleibt auch der Prozess stehen und ist –Änderungen in der Umwelt vorausgesetzt- früher oder später nicht mehr relevant. Gemeinde kann also sehr viel von der professionellen Prozessorganisation lernen. Anders als in einer Firma machen nicht Menschen Gemeinde. Gemeinsam haben aber Unternehmen und Gemeinden, dass Menschen durch mangelndes Fortschreiten (Lernen) Zukunft verhindern, wie sie sein könnte, wenn Entwicklung Raum gegeben würde. Kontinuierliche Prozessverbesserungen beim Einzelnen sind erforderlich um weiter zu kommen. Inwiefern ist kontinuierliche Verbesserung individuell und als Gemeinde auch mit Jüngerschaft zu übersetzen?
 

2.  Identifikation von destruktiven Systemverläufen 
(Organisationsdiagnostik)

Denk- und Verhaltensmuster in der Gemeinde, die der Gemeinde schaden

Dass es in Gemeinden Stimmungen und Meinungen gibt ist jedem bekannt, der eine Gemeinde besucht. Die Nagelprobe für die charakterliche Reife der sozialen Gruppe Gemeinde ist oft die Mitgliederversammlung. Kein anderes Ereignis lässt oft so tief die charakterliche Gruppenreife erkennen oder auch gelegentlich vor ihr erschaudern. Soziale Systeme eignen sich Denkmuster an und gewöhnen sich an diese. Haltungen im Kopf führen zu Verhalten und dies ist entweder tugend- oder untugendhaft.  So ist in der Praxis der Gemeindeberatung aber auch als Gemeindemitglied oder –Besucher oft zu beobachten, dass Gemeinden einen bestimmten Stil im Umgang mit oder Vermeidung von beispielsweise Konflikten angenommen haben. Ist das Kollektiv mehrheitliche  Denk- und Verhaltensmuster im Umgang mit vorhandenen Konflikten z.B. destruktiv, dann werden Konflikte vertuscht oder verdrängt anstatt sie zu lösen. Die Gemeinde erkrankt am destruktiven Konfliktvermeidungsmuster, ist mehr und mehr konfliktkontaminiert und erstickt schlimmstenfalls schließlich an der eigens erzeugten Konfliktinflation.

Ein anderes typisches und weit verbreitetes Feld ist die Selbsttäuschung. Bestimmte Dienste werden als hochrangiger angesehen als andere. Aufgrund dieses Denkmusters streben Mitglieder dann Ämter und Dienste in der Gemeinde an, die nicht zu ihnen und ihren Begabungen passen. So besteht dann z.B. am Ende das Leitungsgremium ausschließlich aus Personen, die keinerlei oder nur geringe Leitungsbegabung aufweisen. In Folge dessen sind Entscheidungsgüte und –menge schlecht oder mangelhaft, es entsteht Schaden durch falsche Entscheidungen, der mitunter irreversibel ist. Z.B. verlassen berufene Mitarbeiter die Gemeinde aufgrund des starken Frusts über schlechte Entscheidungen sowie einer fehlenden Perspektive, dass sich dies ändern könnte. Ursache also der Selbstbeschädigung der Gemeinde ist eine falsche Haltung gegenüber Amt, Gabe und Berufung.

Die Organisationsentwicklung identifiziert destruktive Systemverläufe (schlechte Angewohnheiten in der Gemeinde) mit dem so genannten „Survey-Feedback-Verfahren“. Dabei werden die Betroffenen –also alle Mitglieder- nach ihrer Wahrnehmung und vor allem nach Tabus und Dilemmata befragt. Diese stellen in jeder Gruppe immer „wunde Punkte“ und damit Hotspots für Veränderungen dar. Sie sind die Stellhebel für das Verändern schlechter Angewohnheiten, sich ihnen als Organisationsentwickler zu nähern ist aber auch gefährlich, denn sie geben Sicherheit, wenngleich es eine negative Sicherheit ist, die sie spenden. So bleibt es oft nur beim Traum von einer gesunden, starken, wachsenden und den Ort/die Stadt positiv prägenden Gemeinde, es wird nie Wirklichkeit. Weil man sich scheut, die Tabus und Dilemmata anzupacken. Wie bei einer Wundreinigung bereitet das Reinigen der Wunde erst einmal Schmerz, der aber unvermeidbar ist, wenn der Heilungsprozess eintreten soll. Der Gegenspieler der Gemeinde hat ein großes Interesse daran, Gemeinden lau werden zu lassen und Stillstand dadurch zu erzeugen, dass schlechte Gewohnheiten nicht mehr erkannt oder nicht behandelt werden.
 

3. Verstören von destruktiven Systemverläufen  (Intervention)

Individualeben, Gruppen, Gesamtgemeinde (Böse Geister in der Organisation)

Die systemische Organisationsentwicklung hat diverse Methoden der Intervention erprobt und erforscht. Intervention meint hier, die destruktiven Systemverläufe zu verstören. Denk- und Verhaltensgewohnheiten bei Individuen, Gruppen oder in der Gesamtgemeinde, die destruktiv wirken  stellen schädliche „böse Geister“ dar. Mangelnde Kundenorientierung, Gleichgültigkeit gegenüber Material und Maschinen oder auch mangelnde Fairness gegenüber Lieferanten sind böse Geister im Denken und in Haltungen, die auch destruktives verhalten hervorrufen. Diese bösen Geister zu vertreiben bedeutet, mentale Muster (Denkmuster) zu verändern und Festlegungen im Denken und damit auch im Handeln zu überwinden. Wie kann das gelingen? In der Geschäftswelt geschieht dies durch entsprechende direkte Hinweise und Qualitätsaudits. So helfen beispielsweise Tests und die bereits angesprochenen Survey-Feedback-Verfahren Individuen, Gruppen oder der Gesamtorganisation sich zu reflektieren und eigene Blockaden und Fehler und damit den Erneuerungs-Verbesserungsbedarf zu erkennen. Denk- und Verhaltensmuster zu ändern ist die Aufgabe eines Organisationsentwicklers. Der Prozess erfolgt individuell, in Gruppen oder in der Gesamtorganisation immer auf die gleiche Weise, wenngleich durch unterschiedliche Techniken

  • Reflektion der eigenen Denk- und Verhaltensmuster
  • Identifikation der Blockaden (Untugenden)
  • Würdigung und Bewertung (Betroffenheit)
  • Lösungsalternativen ersinnen
  • Neue Einstellung (Haltung) einnehmen

Das Irritationslernen braucht also immer die ehrliche Selbstreflektion und das Feedback von außen. Die Blockaden müssen identifiziert und beim Namen genannt werden. Die Negativkreisläufe werden dann durchbrochen und in Positivkreisläufe verwandelt.

Hier bietet die Organisationsentwicklung zahlreiche „therapeutisch“ und/oder Entwicklung bewirkende Instrumente an, von der Gemeinde lernen kann. Hie eine kleine anregende unvollständige Übersicht über die möglichen Interventionsinstrumente der Organisationsentwicklung:

Fast immer geht es darum, das Denken zu verändern und neu auf das Ziel auszurichten. Lernen wird in der Organisationsentwicklung als Erneuerung des eigentliches Sinnes –wofür machen wir das?- verstanden. Dieses Verständnis deckt sich mit Römer 12.2: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ In der englischen Sprache werden in dieser Bibelstelle die Begriffe  „not conform“ sondern „be transformed“: “Do not be conformed to this world, but be transformed by the renewal of your mind, that by testing you may discern what is the will of God, what is good and acceptable and perfect.”. Transformation unseres Wesens “ändert Euch” durch Sinnerneuerung kann ich hier als den Befehl zum LERNEN und zur Weiterentwicklung identifizieren statt Konformität mit der Welt zu suchen, was mich dem Mainstream folgend sehr viel eher in der Komfortzone verbleiben lässt. Peter Senge, einer der heute bekanntesten Forscher der Organisationsentwicklung, betont in seinem bekannten Werk „Die fünfte Disziplin“ das „personal mastery“ (die persönliche Meisterschaft) als eine der fundamentalen Säulen der lernenden Organisation. Die persönliche Jüngerschaft und Nachfolge Jesu zielt nach Paulus (Galater 5) auf die Erneuerung und Transformation des inneren Menschen, es geht darum, lebendig statt tot zu sein. 


4. Irritationslernen und lernende Organisation  werden

Lebendige Gemeinde die Jesus folgt statt religiöser Verein der Traditionen pflegt

Die „lernende Person“ in der Organisation und die „lernende Organisation“ selbst sind das, was die Organisationsentwicklung idealtypisch anstrebt. Es geht dabei um eine sich ständig aus sich selbst heraus selbsterneuernde Organisation (Selbstreferentialität) die nicht statisch ist und stehen bleibt, sondern sich den Herausforderungen stellt und sich darin bewährt. Das zentrale Problem jeder Organisation ist es, nicht träge zu werden und sich einzuigeln und schließlich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen. Im christlichen Jargon also zum Salzfass zu werden in dem sich die Salzkörner treffen verändert nichts in der Welt. Im Gegenteil, Gemeinde wird dann zum Zentrum der Weltflucht.

Eine lernende Person sowie lernende Organisationen sind lebendig, sie verändern sich ständig. Sie hinterfragen Abläufe, Prozesse, Werte, Normen, Regeln und Strukturen sozusagen am laufenden Band. Nichts bleibt wie es ist, es findet ständig Transformation statt und es gibt dabei kein Tabu. Nicht weil sie verrückt ist, sondern weil sie die Zukunft gestalten will, nicht die Gegenwart. Eine lernende Person sowie eine lernende Organisation werden auch mal verändern um zu experimentieren. Die Veränderung hat also keinen Grund, es wird verändert um der Veränderung willen. Man probiert aus, um etwas Neues herauszufinden. Eine solche Kultur führt dazu, dass man sich mit den tatsächlichen Herausforderungen der Gegenwart auseinandersetzt und ggfs. Lösungen entwickelt bevor dies andere tun, die erst auf den Störfall reagieren aber nicht pro aktiv agieren. Damit wird ein Vorsprung erreicht. Schnell lernende Organisationen haben immer Vorsprung vor langsam Lernenden und sind somit nicht nur eine Nasenlänge voraus, sondern relevanter. Sie setzen den Trend anstatt dem Trend hinterher zu laufen. Wer nicht mit der Zeit geht der geht mit der Zeit. Verliert Einfluss, Bedeutung, Mitsprache. Wo steht Kirche und Gemeinde heute? Geht sie voran in der Gesellschaft und ist Trendsetter oder läuft sie hinterher und verliert mehr und mehr ihre Mitglieder, weil sie nicht mit der Zeit geht? Wie ist der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen heute und wie konnte es dazu kommen, dass sich die Gesellschaft ins Post-Christliche Sein verabschiedet hat? Inwiefern lag es möglicherweise daran, dass Gemeinde keine ausreichend lernende Organisation war und ist sondern sogar die Selbstreferentialität in sich (das ist in der Gemeinde der Auferstandene Christus selbst) durch das Überbetonen von Traditionen und Regeln blockiert? Hat sich die Christenheit und ihre Organisation Gemeinde hier möglicherweise in Deutschland selbst ein Bein gestellt und im Weg gestanden?


Was kann Gemeinde vom Konstrukt der Organisationsentwicklung einer „lernenden Organisation“ lernen?

Unser Gemeindeverständnis ist nach meiner Wahrnehmung eher von statischen Bildern geprägt. Kirchen sind statische Gebäude, Liturgien sind statisch, Farben, Formen und Rituale sind statisch und unterliegen kaum dem Wandel. Vor einiger Zeit besuchte ich nach ca. sechs Jahren wieder einmal den Gottesdienst einer freikirchlichen Gemeinde. Ich stellte dabei folgendes fest: Der Gottesdienst wurde exakt in gleicher Weise abgehalten, die Mitglieder saßen auf den exakt gleichen Plätzen im Saal, sie sahen fast genauso aus, hatten gefühlt dieselbe Kleidung an wie vor fünf Jahren, sangen exakt das gleiche Liedgut und verwendeten genau die gleichen Worte wie vor fünf Jahren. Irgendwie gruselig, es kam mir vor als wäre ich in eine Zeitmaschine gestiegen. Die Zeit ist in dieser Gemeinde stehen geblieben. Ist das auch in Ihrer Gemeinde so? Ist das eine lernende Organisation in der ständige Erneuerung des Lebens stattfindet? Oder handelt es sich um einen religiösen Verein indem Menschen mit gleichen religiösen Gefühlen zusammenkommen um diese auszutauschen ohne dass neues Leben entsteht?

Gemeinde, wie sie die Bibel beschreibt ist lebendig und lebensverändernd. In dieser Gemeinde in der die Kraft des Auferstandenen wirkt bleibt niemand so wie er ist und verändert sich gar nicht. Gemeinde sollte eigentlich der Prototyp der lernenden Organisation sein und ist es sicher auch in dem Maß, in dem Christus und nicht irgendwelche Traditionen in der Mitte ist. Die Mumifizierung im Denken und Verhalten von Menschen in der Gemeinde über lange Zeiträume hinweg lässt bereits Verwesung erkennen. Der Tot ist längst eingetreten, diese Art von Gemeinde reagiert nur noch, sie setzt keine Trends, hat keinen Vorsprung.

Die Organisationsentwicklung kann sehr hilfreich für Pastoren und Leiter sein, die eben diesen Zustand in ihrer Gemeinde angehen und überwinden und verändern möchten. Dekonstruktion, Werteaneignungsprozess, Irritationslernen, Verlernen, Lernen, Emotionales Lernen – zu all diesen Herausforderungen bietet die Organisationsentwicklung Instrumente an. Da sie sich sehr ausgiebig mit Lernmodellen aber auch mit Modellen des Veränderns und des Veränderungsmanagements beschäftig, bietet sie Gemeindeverantwortlichen einen Fundus an Erkenntnissen darüber, wie man erfolgreich Veränderungsbereitschaft herstellen und erzeugen kann und wie man Veränderungen partizipativ herbeiführt. Sie beschäftigt sich insbesondere auch mit dem Umgang und der Bearbeitung von Widerständen auf Individual, Gruppen, und Gesamtorganisationsebene. Die Modelle und Konzepte des Übergangsmanagement (Transition) sowie des Unsicherheits- und Komplexitätsmanagements sind sehr hilfreich und geben wertvolle Einsichten für die praktische Umsetzung. Jeder, der Organisationen gestaltet und leitend begleitet benötigt diese Einsichten um bei Veränderungsvorhaben nicht zu scheitern.


Was kann Gemeinde aus der Organisationsentwicklung nicht  lernen?

Viele Angehörige der Gemeinde der Organisationsentwicklungsforschenden bezeichnen die Organisationsentwicklung als humanistisch. Der Humanismus glaubt an das Gute im Menschen.  Die Bibel zeichnet ein völlig anderes Bild von der sündigen und gefallenen Natur des Menschen, der eine Wesensveränderung benötigt und von neuem geboren werden, eine neue Kreatur werden muss (Johannes 3). Die Organisationsentwicklung hat keine Lösung für die Schuldfrage der Organisation und für die individuelle Schuldfrage. Zwar ist sie in der Lage, Schuld trefflich zu diagnostizieren, sie hat aber keine Lösung im Angebot. Da einige Lehrende stark geprägt sind vom Konstruktivismus ist eine Tendenz zu der Annahme vieler Autoren zu erkennen, dass sich die Wirklichkeit durch die Veränderung der eigenen Denkmuster trefflich verändern ließe. So folgt der größere Teil der Organisationsentwicklung vermutlich der Annahme, dass durch mentale Dekonstruktion auch Schuldempfinden in Organisationen verstört werden könne. Es gibt also keine allgemein anerkannten Interventionskonzepte zur Schuldvergebung, wenngleich das verstören destruktiver Systemverläufe (schlechte Gewohnheiten) für Buße und Umkehr steht.

Die Selbstreferentialität von der die systemische Organisationsentwicklung ausgeht meint und beschreibt nicht üblicherweise das übernatürliche Wirken des Heiligen Geist in der Gemeinde Jesu. Über diesen und seine Wirkungsweise gibt die Organisationsentwicklung keinen direkten Aufschluss, allerdings kann man in vielen verstörenden Interventionsmethoden wie oben schon beschrieben das „Vertreiben böser Geister“ und das Einsetzen Guten Geistes erkennen. Die Organisationsentwicklung ist hier sehr viel näher an göttlichen Wirkungsprinzipien als manch andere Wissenschaft.



Ralf Juhre (49), Master of Arts (M.A.) Organisationsentwicklung, ist Geschäftsführer/Managing Director von ingenior training GmbH www.ingenior.de





Literaturangaben:

Berger, M., Chalupsky, J., & Hartmann, F.: Change Management - (Über-) Leben in Organisationen, 7. bearbeitete Auflage. Gießen (2013).
Juhre, R.: Ethisch Veränderungen herbeiführen. Hanau (2015).
Königswieser, R., & Exner, A.: Systemische Intervention, Architektur und Design für Berater und Veränderungsmanager, 9. Auflage. Stuttgart (2006).
Kotsch, M.: August Hermann Francke. Pädagoge und Reformer. Dillenburg (2010).
Kotter, J.: Chaos, Wandel, Führung. Leading Change. Düsseldorf (1997).
Kreyenberg, J.: Wirkungsvolles Konfliktmanagement. Berlin (2012).
Kühl, S.: Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden (2011).
Mandl, H., & Winkler, K.: Organisationsentwicklung, Studienbrief Nr. OE 4A20 des Master-Fernstudiengangs Organisationsentwicklung der TU Kaiserslautern, 2. Auflage. Kaiserslautern (2012).
Rosenstiel, L., & Nerdinger F.: Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen. Stuttgart (2011).
Senge, P.: Die fünfte Disziplin, 7. Auflage. Stuttgart (1999).
Senge, P.: The Dance of Change - Die 10 Herausforderungen tiefgreifender Veränderungen. Wien (1999).
Simon, F.: Einführung in die systemische Organisationstheorie. 3. Auflage. Heidelberg (2011).
Vahs, D.: Organisation. Ein Lehr- und Managementbuch. Stuttgart (2012).


 

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